100 Jahre Kindergarten Durbach
1917 – 2017
Josef Werner
Zur Unterstützung Armer, Kranker, und vieler Schutzbedürftigen, gründeten im März 1909 Ida Freifrau von Neveu u.A. zusammen mit der Bäckersfrau Rosa Bodenheimer den Frauenverein Durbach.
Es war dies ein Zweigverein des Badischen Frauenvereins, eine interkonfessionelle, überparteiliche und gemeinnützige Organisation von und für Frauen mit Sitz in Karlsruhe. Unter dem langjährigen Protektorat der Landesfürstin, Großherzogin Luise von Baden, entwickelte sich die 1859 gegründete Organisation zu einem Verein, in dem sich die Frauen des 19. Jahrhunderts ehrenamtlich engagierten und patriotisch für die Bevölkerung Badens einsetzten. Männer waren in beratender und finanzierender Funktion in die Vereinsstruktur eingebunden.
Ein wesentlicher Zweck des Durbacher Zweigvereins war zunächst die Versorgung der Kranken. Der von der Gemeinde verpflichtete Dorfarzt hatte noch keinen Sitz in Durbach und kam lediglich auf Anforderung in die weit verzweigte Gemeinde. Mit der Anstellung von Krankenschwestern aus dem Mutterhaus der Franziskanerinnen von Gengenbach schuf der Verein erstmals eine dauerhafte, wenn auch einfache Krankenversorgung der Durbacher Bevölkerung. Die barmherzigen Schwestern machten Hausbesuche und konnten oft mit einfachen Hausmitteln die weniger schwierigen Krankheiten heilen oder Schmerzen lindern. Bei Schwer- oder Todkranken hielten die Schwestern auch Nachtwache und gaben seelischen Beistand.
Die Begründerinnen des Kindergartens Durbach Ida Freifrau von Neveu und Rosa Bodenheimer
Die Not des Ersten Weltkrieges machte sich bei den in der Heimat zurückgebliebenen Frauen besonders stark bemerkbar. Oft lagen die Bewirtschaftung des Hofes, die Ernährungssicherstellung und die Versorgung der Alten und Schwachen allein in den Händen der Frauen. Um hier für etwas Entlastung zu sorgen entschloss sich der Durbacher Frauenverein im Mai 1917 zur Einrichtung eines Kindergartens. Die anstehende Veräußerung des alten „Amtshauses“, mitten im Tal gelegen, bot Gelegenheit zur Verwirklichung dieses Plans. Der Durbacher Gemeinderat unterstützte den Plan und richtete über das Bezirksamt Offenburg auch ein entsprechendes Bittgesuch an die „Hermann Sielckenstiftung“.
„Es wurde schon lange sehr mißlich empfunden, daß in unserm großen Ort keine Kleinkinder-Bewahranstalt, sog. Kinderschule errichtet ist.
Dieser Mangel ist jetzt während des Krieges, wo den Frauen noch eine größere Arbeitslast zugefallen ist, erst so recht hervorgetreten.
Nun wäre dem hiesigen Frauenverein Gelegenheit geboten, zu diesem Zweck ein geeignetes Haus zu erwerben. Der Kaufpreis beträgt 10.000 M. Da aber für den Hauskauf und die Einrichtung die vorhandenen Mittel von 9.000 M. nicht ausreichen, bitten wir ergebenst für Erlangung einer Beihilfe aus der Hermann Sielckenstiftung das Weitere geflissentlich veranlassen zu wollen.“
Am 12. Mai 1917 schrieb die Hochwohlgeboren Freifrau von Neveu an den Gemeinderat:
„Wie dem verehrl. Gemeinderat bekannt sein dürfte, hat der hiesige Frauenverein sich entschlossen, so rasch als möglich eine Kinderschule einzurichten, um auch Versorgung der kleinen Kinder den Frauen die Arbeit in Reben und Feld ausgiebiger zu ermöglichen, denselben Verdienst und der Landwirtschaft mehr Arbeitskräfte zuzuführen.
Bezirksamtliche Erlaubniß zu diesem Unternehmen hat der Frauenverein sofort erhalten.
Der Verein kauft zu diesem Zwecke das Werner’sche Anwesen, den sogenannten „Amtshof“ in welchem ein allen Vorschriften entsprechender Saal und Vorplatz und außerdem reichlich Garten vorhanden ist um den Kindern gesunden Aufenthalt und Bewegung im Freien zu gewähren!
Es erwachsen dem Verein, außer dem Ankauf durch Errichtung und Einrichtung der Räume noch bedeutende Kosten.
Dauernd muß eine vierte Schwester außschließlich für die Kinder eingestellt werden. Wir achten bei unsrem Unternehmen sehr auf die Beihilfe der Gemeinde, welche die Bestrebungen unseres Vereins wesentlich unterstützte und gefördert hat, wie dies auch in anderen Gemeinden üblich ist.
In Windschläg z.B. ist das große neue Haus samt Einrichtung für Schwestern und Kinderschule auf Gemeindskosten erstellt u. trägt diese, neben anderen Zuschüssen die jährlichen Unkosten für Heizung und Beleuchtung.
Ich ersuche Namens hiesigen Frauenvereins den verehrl. Gemeinderat, uns einen weiteren jährlichen Beitrag zu diesem gemeinnützigen Zweck und zur Bestreitung der Einrichtungskosten, jetzt eine beträchtliche Summe gewähren zu wollen und bitte um baldigen schriftlichen Bescheid des gemeinderätlichen Beschlusses.
Wir hoffen, die Kinderschule bis 15. Juni eröffnen zu können.“
Am 6. Oktober 1917 erwarb der Verein das alte „Amtshaus“, Lgb.Nr.83, Talstraße 194 von den Geschwistern Werner (Kinder des Bahnhofwirts und Hoteliers Ignaz Werner in Appenweier). Im Dezember 1917 bewilligte die Stiftung einen Zuschuss von 2.000 Mark.
Das alte Amtshaus war von ca.1754 bis zur Auflösung der „Herrschaft Staufenberg“ Sitz des Amtmanns der Großherzogl. Badischen Herrschaft.
Nach dem Umbau des Amtshauses konnte man eine „Kinderschule“ mit 44qm Fläche und zwei kleinen Schlafzimmern für die Kinder, sowie Wohnräume für die Schwestern vorweisen. Außerdem hatte man „auf dem Grundstück reichlich Garten um den Kindern gesunden Aufenthalt und Bewegung im Freien zu gewähren“!
Die Aufgaben des Vereins forderte von der Vorstandschaft um die Frau Baron eine immense ehrenamtliche Aktivität. Als zweite Vorsitzende war die Bäckersfrau Rosa Bodenheimer und als Kassenwart deren Ehemann Moritz Bodenheimer tätig.
Rund 350 Mitglieder nutzten die caritative Einrichtung des Vereins. Die Gemeinde unterstützte den Verein zunächst mit einem jährlichen Zuschuss von 300 Mark. Die immer größer werdende und „galoppierende“ Inflation der 1920er Jahre brachte den Verein in arge finanzielle Schwierigkeiten. Das Kloster Gengenbach forderte jährlich, und später sogar halbjährlich, annähernd verdoppelte Zahlungen für die Stellung von 3 Krankenschwestern und 1 Kindergartenschwester. Die Mitgliedsbeiträge des Vereins wurden jährlich fast verdoppelt um die Kosten tragen zu können.
Noch 1919 lehnte der Gemeinderat die Übernahme der Kosten für 8 – 10 Ster Brennholz ab und war der Ansicht, dass der Verein dies selber regeln solle. Bereits 1922 forderte das Kloster Gengenbach eine „Nachzahlung“ von 8.000 Mark (1917 360 Mark) und setzte hierfür Fristen zum 1. Oktober und 1. Dezember. Mit einer „Haussammlung“ konnte der Verein die 1. Rate aufbringen und der Gemeinderat willigte schließlich zur Übernahme der 2. Rate von 4.000 Mark ein, um die Auflösung des Kindergartens mit Krankenstation zu verhindern. Schon im März 1923 waren die Kosten für die Schwestern auf 16.800 Mark gestiegen. Der Vereins-Beitrag wurde von 80 auf 500 Mark jährlich angehoben und konnte trotzdem die Kostenexplosion nicht aufhalten. Viele Unbemittelte konnten sich diesen Beitrag nicht mehr leisten.
Mit einem eindringlichen Bittbrief wandte sich die Vereinsvorsitzende, Frfr. von Neveu erneut an den Gemeinderat:
„Mit 500 M. Beitrag würden unsere Einnahmen 175.000 M betragen. Nach Abzug der Klostersumme bleiben noch 7.000 M. Wir müssen aber für Haushalt der Schwestern, Licht Steuer, Reparaturen usw. mit einem Aufwand von mindestens 40 – 50.000 M. rechnen. – Mit weiter steigenden Preisen ist zu rechnen.
Gemeinderat soll die fehlenden 50.000 M für die Schwesternstation übernehmen und sofort für Januar und Februar eine Rate von 28.000 M u. 20.000 M überweisen, bis in der kommenden Generalversammlung wiederum eine Beitragserhöhung beschlossen werden kann.
Die Generalversammlung muss auch darüber beraten, dass eine eventuelle Schließung der Kinderschule, deren Einnahmen in keinem Vergleich zu den Ausgaben stehen, vorgesehen werden muss.“
Im Hinblick auf die Wichtigkeit der Einrichtung übernahm der Gemeinderat die fehlenden Mittel.
1927 wurde eine Nähschule eingerichtet und gleichzeitig eine Nähschwester beschäftigt, die Frauen und Mädchen bis um 1975 in die Nähkunst einwies. 18 Nähschülerinnen nahmen durchschnittlich diese Einrichtung in Anspruch. In seinem Aufsatz über „Die sanitären Verhältnisse in der Gemeinde Durbach“ schreibt der damalige Dorfarzt Dr. Steiger im Jahr 1929:
„Die Kinderschule wird z.Zt. von 75-80 Kindern besucht; gebracht von ihren Müttern, die ihrer Fabrik-, Haus- oder Rebarbeit nachgehen. Den Kindern steht ein geschlossener Raum von 44 qm und, da dieser für das Spielen nicht ausreicht, der Hausflur zur Verfügung: das sind etwa 1qm und 3cbm pro Kind, ein äußerst unbefriedigender Zustand, zumal im Winter. Es ist deshalb nicht zu verwundern, wenn jedes Jahr durch das enge Beieinanderliegen und –sitzen Hautkrankheiten, Keuchhusten, Masern sehr leicht und häufig übertragen werden. Eine ärztliche Überwachung der Kleinkinder besteht nicht.“
Im März 1930 führten Vereinsinterne Differenzen, aber auch der aufkommende Nationalsozialismus zum Rücktritt der Vereinsvorsitzenden Ida Frfr. von Neveu, sowie der zweiten Vorsitzenden Rosa Bodenheimer zusammen mit dem Kassenwart Moritz Bodenheimer. Der Frauenverein löste sich vom Bad. Frauenverein und wurde als „ELISABETHENVEREIN“ selbständig.
Das Innenministerium in Karlsruhe verfügte am 26. Mai 1937:
„Nr. 19405 Norm XXXVIII. Errichtung von Kindergärten und Horten
Der volkserzieherische Wert der Kindergartenarbeit ist von Anfang an von allen massgebenden Stellen der Partei und des Staates erkannt und anerkannt worden. …Die Aufteilung der Kindergärten nach Konfessionszugehörigkeit kann daher nicht mehr im Sinne der heutigen planmässigen sozialerzieherischen Bestrebungen liegen ….Als Träger für neu einzurichtende Kindergärten kommt vielmehr in erster Linie die NS-Volkswohlfahrt, die sich dieses Gebiet mit zur Hauptaufgabe gemacht hat, in Betracht.“
Im Badischen Verordnungsblatt Nr.37/1938 wurde festgelegt:
II. Einzelheiten über Lage, Bau, Einrichtung und Betrieb von Kindertagesstätten
Ziff.7. – J ü d i s c h e K i n d e r dürfen nur besonders für sie eingerichtete Kindertagesstätten besuchen. Wer Jude ist, bestimmen das Reichsbürgergesetz und dessen Durchführungsbestimmungen
Ziff.33 – Zum Betrieb der Kindergärten und Schülerhorte sind einzustellen:
Bis zu 30 Kindern 1 Kindergärtnerin
60 Kinder 1 „ 1 Kinderpflegerin
90 Kinder 2 „ 1 „
120 Kinder 2 „ 2 „
Wird Essen verabreicht, ist entsprechende Vermehrung der Hilfskräfte nötig, wobei ehrenamtliche Kräfte mitwirken können.
Steigende Kinderzahlen machten Mitte der 1950er Jahre eine Erweiterung des Kindergartens notwendig. Weil der Elisabethenverein diese hohe finanzielle Belastung nicht tragen konnte, wurde 1956 eine Teilfläche des Grundstücks an die Gemeinde verkauft und von dieser ein Erweiterungsbau für den Kindergarten, sowie die Turnhalle errichtet.
Mehrere Um- und Anbauten wurden seither durchgeführt und die alten Kindergartenräumlichkeiten wieder neu aktiviert. Mit dem nun im Jahre 2017 fertiggestellten Anbau ist ein weiterer Markstein in der baulichen und organisatorischen Ausstattung des Durbacher Kindergartens gesetzt.
Träger des Kindergartens ist heute die katholische Kirche, wobei die politische Gemeinde einen wesentlichen finanziellen Beitrag zu leisten hat. Seit Auflösung der Schwesternstation sind keine Franziskanerinnen mehr im Kindergarten. Heute werden in der ehemaligen „Kinderschule“
30 Kleinkinder von 1 bis 3 Jahren und
70 Kinder von 3 bis 6 Jahren
nicht nur „verwahrt“, sondern nach modernen Erkenntnissen gefördert.
Diese Aufgabe übernehmen:
1 Kindergartenleiterin
10 Erzieherinnen
4 Kinderpflegerinnen
1 Sozialpädagogin
2 Anerkennungspraktikantinnen
in insgesamt 6 Gruppen.